weder noch

Sowohl als auch-Denken, nicht Entweder-Oder- bzw. Schwarz-Weiss-Denken, so hiess es, führt zu einem friedlicheren Denken und fruchtbareren Dialog. Nun erscheint es so, als könne das eine nur mit dem anderen verknüpft sein, sei es das Diabolische auf der Gegnerseite und das Gute auf der eigenen Seite. Wer nicht für mich ist, muss gegen mich sein. Wer das Wort xy benutzt, ist mein Feind. Wer das eine Detail nicht erkennt, fühlt – der ist wohl nicht mehr mein Freund. Tatsächlich ist es fragil geworden, was uns noch zusammenhält. Alle wollen gut und liebenswert sein, frei von alter und neuer Schuld und Sünde, welche das Kollektiv einem per Geburt auferlegt hat, aber auch spirituell betrachtet, sind wir ab Geburt schon Sünder, welche sich befreien müssen aus Triebsteuerung und Lastern, aber auch vorschnellem Mitläufertum – es aushalten müssen auch mal alleine zu stehen, alleine sein zu können, vielleicht sogar – wie in meinem Falle – mal komplett ohnmächtig und verloren zu gehen und einsam zu sein, sich aus einem Off heraus neu zu sammeln. In der Dunkelheit, weit entfernt von „Normalität“, erhält einer ganz besondere Geschenke.

Das Totalitäre lauert hinter fast jedem Wort. Der Körper zuckt zusammen bei einem harten Blick, arrogant-selbstverliebten Reden, oder einer plötzlichen, ungefragten Berührung. Unfreiwillig etwas zuhören, oder riechen müssen. Eine ungewohnte und ungewollte Nähe, ja wo beginnt der Intimbereich, das Schutz- und Sicherheitsbedürfnis? Das Einkaufen wird an manchen Tagen zu einem psychischen Minenfeld, wo Gefahren lauern, Angriffe und Bedrohungen, Fremde einem in den Nacken atmen, oder Blickkontakt suchen, wo Hustende rücksichtslos ihre Krankheitserreger in das Umfeld prusten – der Computer ist verwanzt und die Algorithmen verkennen und scannen seit Jahren ein digitales Spiegel-Profil im Irgendwo, im digitalen Nirvana. Im Anderland wachsen die Serverparks, die Energie soll bezahlt werden von den Kleinen. Die Vertraulichkeiten und Freundlichkeiten scheinen gespielt und Fassade, das Vertrauen war einmal besser. 

Die sprachliche Verwirrung ist wie ein babylonischer Turmbau zu Babel – ich liebe das Einfache, Echte und Leere. Eine Rettung. Eine zeitlang. Dann wechselt das Interesse innerlich und ganz natürlich scheinbar, wieder zu etwas anderem, was mich füllt und füttert, nährt, begeistert, aktiviert – auch geistig und spirituell. Kulturelle Neigung oder Aneignung ist nicht Enteignung, sagte jemand, daher nehme ich auch das gerne an, so wie anderes „von uns“ ja ebenso anderswo „genommen“ wird, sei es alte indische Heilkunst, oder buddhistische Praxis, oder unsere europäischen Wurzeln auch vor dem Christentum – wenn dieser Austausch von Gestern und Heute, über Länder hinweg nicht nur egozentriert oder unheilig ist, sondern fruchtbar, dienlich der Liebe, der Gemeinschaft, der Zukunft, dann ist es etwas Gutes. 

Gas oder Fracking, wir sind plötzlich wieder dazwischen, ich dachte das wäre so ein eigenes kleines uninteressantes Forschungsfeld aber nein, das passiert im ganz ganz Großen. Ungute Abhängigkeiten und toxische Beziehungen, dachte ich wären Privatkram – sind plötzlich auf der großen politischen Bühne. Wie gehen die Beteiligten damit um?

Dann werden „Killerworte“ eingesetzt, welche das „Herdenvieh“ spalten – und eine berechtigte Kritik an den Angstmachern, Krisenprofiteuren (zB. Pharma- und Rüstungsindustrie,.. die 1 %.. früher Kirche und Adel, heute machtvolle Strippenzieher ohne echte Verantwortung und ohne persönliche Haftung) scheint in der aufgeladenen Melange unmöglich. Statt an einem sich verselbständigtem kaltherzigen Wirtschaftssystem, welches sich global wie ein Riesenkrake um alle Länder legt, mehr und mehr Leid produziert, die Verantwortlichkeiten und einen Raum für Postwachstum klar zu definieren, werden die Labels nur für weiteres Abzocken und ein Gegeneinander der unteren Schichten missbraucht. Wachstum ist heute etwas innerliches, geistiges, universaleres. Der Materialismus kann nicht die Seele, den Menschen nachhaltig befriedigen und glücklich machen. Glaube – Unglaube – ist für mich nicht nur die Unfähigkeit zur Vernunft, sondern auch ein Mangel an Mitgefühl für andere Lebewesen und Gegebenes, wie die Natur. Wer aber spöttisch nur von seiner Warte aus schaut, wird niemals Frieden stiften. Das Fremde, der Feind, wird schon bei Jesus integriert. Es gibt keine Verachtung oder Schamgefühl, Ausgrenzung für eine Prostituierte, es gibt nur Mitgefühl. 

Diese alte biblische Geschichte, ob wahr oder unwahr, zeigt etwas im Menschen mögliches, etwas, was wahrscheinlich den meisten verborgen bleibt. Die gesellschaftliche Persona kann nicht über sich hinaus fühlen, das „weltliche“ Ego ist oft blind und taub. Wer jahrelang mit Leidenden und Kranken zu tun hatte, erlebt hat, wie unterschiedlich und oft unverständlich Dukkha daherkommt, wie Sünde entsteht, wie schwer manchen das Sterben fällt, hat möglicherweise einen größeren Gefühlshorizont, auf den einer sich aber auch nichts einbilden muss. Glaube ist eine Erfahrung kein Wissen, dachte ich gestern beim Lauschen eines Podcasts. Kopfmäßig glauben kann ich eigentlich garnichts mehr. Aber wie mein kleiner wilder Hund, wie ein Tier fühle ich, was auf mich einwirkt, einwirken will. Das kann auch schnell viel zuviel sein. 

Der Hund hat einen besonderen Instinkt und leitet mich auch ein bisschen. Bleibe wohl der Mensch, der in dieser Welt die Verantwortung (auch für sie) trägt, tragen will – aber ich schaue auch auf sie. 

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